Dieser Beitrag wurde zuerst am 22.02.2021 auf So-isser-der-Ossi veröffentlicht. Hier wurde er leicht angepasst.
Ich hasse es, wenn mir Menschen vorschreiben wollen, was ich zu tun und zu lassen habe. Das kommt noch aus meiner Kindheit und Jugend, die ich im Osten verbracht habe. Bis vor einigen Jahren habe ich deshalb auch genauso argumentiert wie der von mir sehr geschätzte Sprachwissenschaftler Prof. Peter Eisenberg es in diversen Veröffentlichungen getan hat. Als taz-Leser habe ich schon sehr lange mit dem Binnen‑I und seinen Freund*innen zu tun. Ich habe mich zum Beispiel über einen Artikel sehr geärgert, in dem es um Straflager für Frauen ging und dann von Dieben und Mördern geschrieben wurde, denn wo, wenn nicht da, hätte man von Diebinnen und Mörderinnen schreiben müssen. Der Gipfel war dann ein Bild mit einem Schild, das als Wegweiserin bezeichnet wurde. Ich habe damals mit den Student*innen darüber gesprochen und ihnen erklärt, dass die entscheidende, die alles entscheidende Frage die ökonomische ist. Frauen werden nie gleichberechtigt sein, wenn sie nicht arbeiten, wenn sie nicht Kranführerin, nicht Firmenleiterin, nicht Klinikchefin, nicht Lehrerin, nicht Kindergärtnerin, nicht Professorin werden. Frauen waren im Osten in einer ganz anderen Position, weil sie ökonomisch unabhängig waren. Wenn der Macker genervt hat, sind sie halt gegangen bzw. haben ihn rausgeschmissen.
Die Frauen aus der Ost-Frauenbewegung haben nach der Wende die West-Frauen gar nicht verstanden (und andersrum), weil die ganz andere Probleme hatten. Es gibt eine sehr gute Dokumentation vom MDR zu diesem Thema und dem Roll-Back nach der Wende: Ostrauen: Selbstbewusst. Unabhängig. Erfolgreich.
Hier auch aus der Emma:
Die Frauen der DDR waren Kranführer, Maurer, Elektriker, Schlosser, Ingenieur oder Agrartechniker. Ihre Arbeit war das Herzstück der sozialistischen Lebensweise. Wo der Sozialismus ArbeiterInnen brauchte, da unterschied er nicht nach Frau oder Mann. Konsequenterweise war das „in“ in der Berufsbezeichnung überflüssig.
Emma 11/2009: Die arbeitslose Kranführerin
Ich habe das Binnen‑I also Jahrzehnte abgelehnt und die Kämpfe darum für vergeudete Zeit gehalten. Vor ungefähr drei Jahren habe ich meine Meinung geändert. Der Grund dafür war ein Tweet von Henning Lobin, durch den ich auf folgende Studie aufmerksam geworden bin:
Stahlberg, Dagmar, Sabine Sczesny & Friederike Braun. 2001. Name your favorite musician: Effects of masculine generics and of their alternatives in German. Journal of Language and Social Psychology 20(4). 464–469. DOI: 10.1177/0261927X01020004004.
Die Autorinnen haben Personen gebeten, ihre Lieblingsmusiker zu nennen. Das Ergebnis war, dass Musiker genannt wurden, nämlich vorwiegend männliche. Wurde dagegen nach Lieblingsmusikern bzw. Lieblingsmusikerinnen gefragt, war der Anteil der Musikerinnen größer. Das heißt, dass all das, was Peter Eisenberg geschrieben hat, zwar richtig ist, also alles, was das grammatische System angeht, dass aber dennoch bei den Empfänger*innen etwas im Gehirn passiert, das nicht dem „mitgemeint“ entspricht (oder doch, siehe unten). Kolleg*innen haben mich dann darauf hingewiesen, dass dieses Phänomen nicht spezifisch für das Deutsche ist. Was abgebildet wird, sind unsere Stereotype. Das folgende Beispiel mit dem Chirurgen kommt ursprünglich auch aus dem Englischen. Es stammt von den beiden Psychologinnen Mikaela Wapman und Deborah Belle.
Also: Die ganze Sache hat nichts mit dem Deutschen zu tun, die Stereotypen sind ein Abbild unserer Gesellschaften. Man kann sich das leicht vor Augen führen, indem man über nurse nachdenkt. Die ist natürlich weiblich. Jedenfalls blinkern zuerst die entsprechenden Stellen in unseren Gehirnen auf. Um das zu ändern, müssen wir dafür sorgen, dass Frauen in allen Positionen sichtbar sind, damit sie nicht nur von der Grammatik mitgemeint sind, sondern auch von den Empfängern unserer Nachrichten mitgedacht werden. Das ist letztendlich wieder die ökonomische Frage und dazu brauchen wir Quoten und Kinderbetreuung und die Quoten haben wir ja inzwischen auch, die Kinderbetreuung wird auch langsam besser. Wenn Frauen in Parlamenten gleich vertreten sind, ändert sich vielleicht auch irgendwann die Bezahlung für die typischen Frauenberufe und es stellt sich insgesamt eine fairere Verteilung ein.
Wenn wir Frauen erreichen wollen, wenn wir wollen, dass sie sich angesprochen fühlen, dass sie denken: „Ja, hier bin ich richtig!“, dann müssen wir sie explizit adressieren. Ich habe das bis vor einigen Jahren gemacht, in dem ich in der Anrede die weibliche und die männliche Form benutzt habe. Seit einiger Zeit mische ich das mit der Form mit Glottalverschluss. Ein Kollege hat prophezeit, dass der dann irgendwann als unökonomisch abgeschafft wird und so ist es in der Tat: Dann kommt eben das generische Femininum raus.
In der Schriftform verwende ich das Gendersternchen. Es ist kürzer als „Kolleginnen und Kollegen“ und man hat die Nicht-Binären noch mit dabei.