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Der Politikkodex
Ein führendes Mitglied der Partei Die PARTEI hat mich darum gebeten, den Politikkodex zu unterschreiben. Dabei geht es um Transparenz und darum Lobbyismus zu erschweren. Die Höchstsätze für private Zuwendungen und Parteispenden sollen reduziert werden und von Unterzeichnerinnen wird erwartet, dass sie Firmenbeteiligungen und andere potentiell ihre Haltung als politische Mandatsträger*innen beeinflussende Faktoren offenlegen. Ich halte Lobbyismus für eins der Grundübel unserer Zeit und auch für einen der wichtigsten Gründe dafür, warum die Regierung uns Klimapäckchen schickt und der Kohleindustrie Milliarden schenkt, statt einfach den Markt entscheiden zu lassen (in UK sind die Kohlekraftwerke unrentabel und schließen selbst) bzw. einen Bruchteil der Entschädigungen nimmt und RWE kauft und dicht macht (der Börsenwert ist nicht hoch). Autoindustrie und Tempolimit ist eine andere Geschichte. Also: Politikkodex hurra!
Nebenbemerkung: Der Mann, gegen den ich antrete, scheint das irgendwie anders zu sehen. Er hat im Bundestag gegen Transparenzreglungen gestimmt.
Beim Nachdenken über den Politikkodex ist mir aufgefallen, dass ich an sehr, sehr vielen Firmen beteiligt bin. Eine ist ein Bank und eine andere habe ich sogar selbst mitgegründet. Also hier jetzt der Transparenzpost. Ich hoffe, dass mich danach noch jemand wählt. Trotz der heftigen Verstrickungen in lokal, national und global agierende Firmen und meiner Nebentätigkeit.
Aber fangen wir vielleicht mit etwas an, das mir leichtfällt: Transparenz und Dienstreisen.
Transparenz
Der Politikkodex verlangt die Offenlegung von Kontakten mit Interessenvertreter*innen:
2.10 Kontakte/Treffen mit Interessenvertreter*innen mit Nennung des Datums, des Themas, der Person, der Institution, der Agentur, der Kanzlei, der Denkfabrik etc. transparent machen (z.B. durch Veröffentlichung auf der eigenen Internetseite).
Ich werde alles, was ich tue, auf twitter bekanntgeben (mache ich jetzt schon). Ich folge dabei dem Vorbild von Julia Klöckner, die ihr Treffen mit Nestlé ebenfalls auf twitter bekanntgegeben hat:
Ich verspreche ebenfalls, dass ich vor einem etwaigen Treffen mit Vertreter*innen von Nestlé, den Film We feed the world – Essen global mindestens drei mal ansehen werde (ein Mal war schon schlimm genug).
Dienstreisen
Der Politikkodex verlangt von Kandidierenden und politischen Mandats- und Amtsträger*innen, Dienstreisen öffentlich zu machen und Flugreisen zu reduzieren:
2.17 Dienstreisen ins Ausland mit einem Reisebericht öffentlich transparent machen unter Offenlegung des Reiseziels, des/der Einladenden und der Kostentragung. Flugreisen reduzieren und wenn möglich durch Videokonferenzen ersetzen.
2.18 Amts-/Mandatstätigkeit so umweltschonend wie möglich ausüben (dies gilt in besonderer Weise für Reisen und dienstliche Mobilität).
Auszüge aus dem Politkodex, 18.04.2021
Ich bin in meinem Leben viel gereist. Hauptsächlich dienstlich. Das ist auf meiner wissenschaftlichen Web-Seite dokumentiert. Privat fliege ich seit 2008 nicht mehr. Und seit August 2019 fliege ich überhaupt nicht mehr. Ich habe aktiv für die Schließung des Flughafens Tegel gekämpft und mit Kolleg*innen von Scientist4Future in Berlin/Brandenburg eine Aktion zur Selbstverpflichtung von Wissenschaftler*innen zum Verzicht auf dienstliche Kurzstreckenflüge durchgeführt.
Die Aktion wurde dann als #unter1000 auf das gesamte Bundesgebiet ausgeweitet (unter1000.scientists4future.org) und bis Corona das Interesse am Fliegen bzw. Nicht-Fliegen gegroundet hat, haben wir 4141 Verpflichtungen von an deutschen Forschungseinrichtungen tätigen Wissenschaftler*innen eingesammelt.
2.19 Kosten der Amts-/Mandatstätigkeit so gering wie möglich halten.
Auszug aus dem Politkodex, 18.04.2021
Der Punkt 2.19 steht zur Zeit leider im Widerspruch zu Punkt 2.17 und 2.18. Das liegt daran, dass Flugreisen oft billiger sind als die viel ökologischeren Zugreisen. Mit diesem Thema haben wir uns bei S4F schon beschäftigt. Als Bundestagsabeordneter werde ich mich dafür einsetzen, dass die Befreiung des Flugverkehrs von der Kerosinsteuer beendet wird und dass die Tonne CO2 wie vom Umweltbundesamt vorgeschlagen mit mindestens 180€ eingepreist wird und somit Flugreisen nur ihren realen Kosten entsprechend angeboten werden können. Damit wäre die Bahn dann wieder billiger.
So viel zu Umwelt- und Nachhaltigkeitsfragen. Nun zu meinen Firmenbeteiligungen.
Firmenbeiteiligungen
Taz, die Tageszeitung Verlagsgenossenschaft eG
Die Firma, an der ich die meisten Anteile besitze, ist die taz. Ich bin Genossenschaftler und habe Anteile im Wert von 2500€ gekauft. Diese Anteile verlieren ständig an Wert. 2018 betrug der Wert 84,25% der Einzahlungssumme. Ich weiß das so genau, weil ich meine Anteile 2019 kurz mal gekündigt habe, weil ich Geld für das Demokratie-Klima-Projekt 120620olympia brauchte und die taz durch ihre Berichterstattung (taz lügt nicht) dazu beigetragen hatte, dass die 2 Millionen Euro, die per Crouwd-Funding eingesammelt wurden, fast nicht zusammen gekommen wären (siehe Warum mein taz-Kreditplan nicht funktionert hat). taz-Genosenschaftler*innen bekommen von der Genossenschaft kein Geld. Dafür aber eine gute Zeitung.
Kräutergarten Pommerland eG
Außerdem besitze ich für 500€ Anteile an der Kräutergarten Pommerland eG. Die machen den leckersten Kräutertee der Welt. Irgendwann hatte unser Dealer die ausgelistet, da habe ich die Dinge selbst in die Hand genommen. Der Kräutergarten ist ebenfalls als Genossenschaft organisiert. Geld haben die Genossenschaftler*innen noch nie bekommen. Dafür guten Tee.
BRD GmbH
Nein! Die BRD GmbH gibt’s gar nicht. Das ist Nazi-Quatsch. Da kommt nichts bei raus. Kein Geld, keine Zeitung, kein Tee, kein Ökostrom. Nur Ärger. Hoffentlich Ärger.
GLS Bank eG
Ich besitze auch eine Bank. Also einen Teil einer Bank. Ich habe Genossenschaftsanteile für 500€ gezeichnet. GLS steht für „Gemeinschaftsbank für Leihen und Schenken“. Wie bescheuert ist das denn? Eine Bank, die Geld verschenkt? Ja, da muss man schon ziemlich idealistisch drauf sein. Die GLS Bank fördert nachhaltige Projekte. Früher wurde das über niedrigere Zinsen für die Anleger*innen finanziert. Da es zur Zeit aber für niemanden Zinsen gibt, ist es etwas schwierig. Geld bringt mir dieses Investment also keins. Aber gute Laune.
SoGeLa eG
Meine kommerziell erfolgreichste Firmenbeteiligung ist die an der SoGeLa (Solargenossenschaft Lausitz eG). Auf die SoGeLA bin ich durch einen Artikel in der taz aufmerksam geworden (Solardächer statt Abraumhalden). Vattenfall wollte 2011 die Dörfer Kerkwitz, Atterwasch und Grabko wegbaggern. Die Anwohner*innen von Kerkwitz hatten die Idee, Vattenfall maximal effektiv und symbolisch zu ärgern. Sie haben eine Genossenschaft gegründet, die Solarzellen auf das lokale Feuerwehhaus gebaut hat. Sollte der Ort weggebaggert werden, so muss Vattenfall (bzw. deren Nachfolger) die Solargenossenschaft entschädigen. Alle Mitglieder der Genossenschaft sind betroffen und können sich auch in lokale Verfahren einbringen.
Ich hatte dieses Investment eigentlich als eine Spende gesehen: Zurück kommt kein Geld, aber guter Strom. Doch dann: 2020 ein Brief mit Mitteilung zur Gewinnausschüttung. Hey, ho. Gutes tun und dabei reich werden!
Language Science Press
Ich höre sie/Sie jetzt schon fragen: „Was? Der will der CSU Konkurrenz machen? Kann der denn überhaupt Wirtschaft?“ Darauf habe ich zwei Antworten: 1) Alle meine Firmen gibt es noch nach mehreren Jahren. Das ist bei Größen aus Parteien, die als wirtschaftskompetent gelten, nicht der Fall (Wikipedia-Eintrag: Christian Lindner). 2) Meine erfolgreichste Firmengründung ist eine gemeinnützige GmbH, die den Verlag Language Science Press betreibt und die ich 2017 gemeinsam mit Martin Haspelmath und Sebastian Nordhoff (aus Erlangen) gegründet habe. Language Science Press ist inzwischen im Millionenbereich: Wir haben 1 Million Downloads von Open-Access-Büchern erreicht. Language Science Press ist ein global agierender Verlag, der von 115 Partnerinstitutionen finanziert wird (z.B. Harvard, MIT, Edinburgh, Erlangen). Diese bezahlen für 30 Bücher pro Jahr jeweils 1000€.
Die Abbildung zeigt Noam Chomsky vom MIT, der uns in der ersten Finanzierungsphase zusammen mit Steve Pinker (Harvard) und Adele Goldberg (Princeton) unterstützt hat. 2020 war die zweite Finanzierungsphase erfolgreich und Language Science Press hat jetzt über 170 Titel von über 1000 Autor*innen in 26 Buchreihen veröffentlicht.
Da die GmbH gemeinnützig ist, dürfen wir keinen Gewinn machen. Bisher wurden 0,00€ an mich ausgeschüttet, und das wird auch so bleiben. Der Zweck des Verlages war es, das Publikationsproblem (unzugängliche Publikationen bei astronomisch wachsenden Preisen und sinkendem Service durch Wissenschaftsverlage wie Elsevier, Springer, Wiley und De Gruyter) zu lösen. Wir haben dieses Problem gelöst. Zumindest für die Sprachwissenschaft. Zur Wirtschaftskompetenz: Wir haben gemeinsam mit der Ökonomin Debora Siller ein Geschäftsmodell entwickelt (Nordhoff, 2018). Dieses ist öffentlich zugänglich und wir hoffen auf Nachahmer*innen aus anderen Disziplinen oder auch aus der Sprachwissenschaft selbst.
Im Bundestag werde ich mich natürlich für Open Access einsetzen: Aus Steuermitteln finanzierte Forschung muss der Allgemeinheit zugänglich sein und darf nicht hinter Paywalls verschwinden. Aufgrund der Oligopolstrukturen im Verlagswesen werden Mondpreise für wissenschaftliche Veröffentlichungen verlangt. Diese Missstände gilt es zu beseitigen. Universitäten und die DFG arbeiten daran.
Nebentätigkeiten
Ich photographiere Musik-Events. Als ich die Chefin der Photograph*innenvereinigung zum ersten Mal getroffen habe und wir den Vertrag besprochen haben, habe ich gesagt, dass ich es gut fände, wenn die Kamera dabei rauskäme. Sie hat mich gar nicht verstanden. Sie dachte, ich hätte das Thema gewechselt und würde mich darauf freuen, dass es bald ein neues Kameramodell zu kaufen gibt. In der Event-Photographie verdient man heutzutage kein Geld mehr.
Früher hat man bei der taz so 100 DM pro Bild bekommen und die taz hat am wenigsten bezahlt (niemand verdient viel Geld bei der taz). Für das Nura-Bild kamen bei mir 6€ Honorar an. Der Vertrieb von Photos kann auf verschiedene Arten erfolgen. Für die Photograph*innen ist es das Beste, direkt an Zeitungen zu verkaufen, aber das ist nicht einfach, denn direkter Kontakt ist für die Redaktionen zu aufwendig und somit zu teuer. Heutzutage läuft alles über Datenbanken und Bildagenturen (imago, picture alliance). Die taz hat das Bild bei Imago gekauft und X€ dafür bezahlt. Einen Teil davon hat imago an meine Chefin weitergegeben, die unsere Datenbank verwaltet und Bilder an Redaktionen verteilt, und einen Teil davon habe ich bekommen. So läuft’s.
Aber das ist nicht alles. Es ist nicht nur so, dass die Einnahmen pro Bild dramatisch gesunken sind (regelt der Markt …). Die Zeitungen verwenden einfach skrupellos irgendwelche Handybilder ihrer Redakteur*innen. Wahrscheinlich finden das die Leser*innen nicht einmal schlimm. Wenn ich im Bundestag für irgendetwas lobbyieren würde, dann für eine gute visuelle Erziehung und künstlerische Ausbildung.
Vermögenslage
Ich bin seit 1994 im öffentlichen Dienst und in der Privatwirtschaft beschäftigt gewesen. Von 1994–1996 als wissenschaftlicher Mitarbeiter und ich hatte das große Glück, eine ganze Stelle zu bekommen. Danach 1997–2003 an der DFKI GmbH in Saarbrücken. Die Tarife dort waren damals an IG-Metall-Tarife angelehnt, d.h. sie lagen deutlich über denen des öffentlichen Dienstes. Das, was ich da mehr bekommen habe, habe ich aber gleich bei der Deutschen Bahn abgegeben. Danach hatte ich diverse Professuren (W1 in Bremen, W3 an der FU Berlin und der HU Berlin). Was man da verdient, kann man in entsprechenden Tabellen im Netz nachlesen.
Das Geld habe ich alles verprasst! Mit teuren Einkäufen im Bio-Laden und einer neuen Kamera alle vier Jahre (ich arbeite im Low-Light-Bereich, da zählt jeder ISO-Schritt). Außerdem für Klamotten. Also ich selbst habe seit 1994 immer dieselben Sachen angezogen, aber die Kinder haben praktisch täglich andere Konfektionsgrößen und die szenetypische Kleidung ist sehr teuer.
Was dann noch übrig ist, geht in das Taschengeld der Kinder (Aber die Marlene bekommt viel mehr!). Da die Kinder Öko-Kinder sind (also Kinder von Ökos), dürfen sie sich für das Taschengeld nichts kaufen. Sie müssen es in Klimafonds anlegen. Sie sind inzwischen sehr reich.
Da ich aus dem Osten bin, gibt es kein anderes Vermögen wie zum Beispiel geerbtes Geld, Häuser oder Wohnungen (siehe auch Mau, 2020: 171). Alles, was ich besitze, stammt aus meinen Gehältern, Anlagen bzw. von der SoGeLa.
Literatur
Dribbusch, Barbara. 2021. Umverteilung der Steuerlast: Ran an die Obermittelschicht! taz. 17.04.2021, S. 11
Mau, Steffen. 2020. Lütten Klein: Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft (Schriftenreihe 10490). Bonn: Zentrale für Politische Bildung. (https://www.bpb.de/shop/buecher/schriftenreihe/303713/luetten-klein)
Nordhoff, Sebastian. 2018. Language Science Press business model. Berlin: Language Science Press. (https://doi.org/10.5281/zenodo.1286972)